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Interview mit Elida Luna, Erinnerungszentrums El Pozo

Elida Luna ist die Leiterin des Erinnerungszentrums El Pozo in Rosario/Argentinien. In der Zeit der Militärdiktatur verschwanden in Argentinien tausende Menschen spurlos. Sie wurden verhört, gefoltert, festgehalten und ermordet. El Pozo, zu Deutsch der Brunnen bzw. Brunnenschacht, ist einer der geheimen Orte, an dem Menschen gefoltert wurden. Mitten in der Stadt befindet sich dieses Folterzentrum im Keller des Polizeihauptquartiers. Elida Luna leitet heute ein kleines Museum in El Pozo, um damit an die Zeit der Militärdiktatur zu erinnern. Sie selbst war mit dem zweiten Kind schwanger, als ihr Mann verschwand. Gernot Lercher führte am 9. März 2008 mit ihr das folgende Interview in El Pozo im Rahmen der Dreharbeiten für den Film „Menschenrechtsstädte dieser Welt“.

Gernot Lercher:
Wir befinden uns an einem Ort, an dem Ihr Gatte war. Welche Gefühle haben Sie, wenn Sie an diesen Ort kommen?

Elida Luna:
Als ich das erste Mal hierher kam, war es sehr emotional. Wir kamen mit Kollegen von anderen Organisationen, mit Rechtsanwälten etc. Wir gingen durch diese Räume und ich konnte an diesem Tag die Wirklichkeit, dass an diesem Ort so viele Menschen umgebracht wurden, realisieren. Als wir diesen Ort dann im Jahr 2000 erhielten und wir mit den anderen Menschen hier eintraten, mit den Familienangehörigen von Verschwundenen, da begann dann der Schmerz zu wirken. Ich fühlte, dass wir hierher gekommen sind, um unsere Angehörigen zu finden. Wir wussten, dass wir sie nicht finden würden, dass wir aber in der Lage sein würden, anhand von Zeugenaussagen davon zu erzählen, was an diesem Ort in der Vergangenheit passiert ist. Dass wir vom Leben der Verschwundenen erzählen würden, unter ihnen auch Daniel. Ich kam mit einer meiner Töchter, mit Paula, da mein Sohn zu diesem Zeitpunkt bereits in Mexiko lebte. Mein Sohn lernte seinen Vater nie kennen, da ich mit ihm im vierten Monat schwanger war, als sie seinen Vater abholten. Und ich begann, den Tod von Daniel anzunehmen. Das Verschwinden einer Person ist etwas Schreckliches. Wenn sie die „Figur eines Verschwundenen“ schaffen. Die Intention des Militärs war, dass es keine Beweise geben sollte, dass kein Körper, keine Beweise hinterlassen wurden. Psychologisch, emotional ist das schrecklich. Denn wie bringt man zusammen, dass eine Person weg ist, dass man sie niemals mehr wiedersehen wird. Es war schrecklich.

Gernot Lercher:
Um wie viele Menschen handelte es sich damals, die in El Pozo inhaftiert und gefoltert wurden?

Elida Luna:
Es waren ungefähr 2.000 Personen. Viele von ihnen haben überlebt und durch sie haben wir erfahren, was hier passiert ist. Wir wissen durch sie die Namen der Unterdrücker, die Verwicklung der Kirche an diesem Ort – viele von ihnen sind nicht mehr. Wir fordern weiterhin ein, dass wir von ihrem Verbleib erfahren, wir wollen ihre Überreste haben und in Kürze beginnen die Gerichtsverfahren in Rosario, einige haben bereits in der Provinz von Santa Fe begonnen und wir wollen einen Urteilsspruch und wir wollen erfahren, was mit unseren Gefährten passiert ist.

Gernot Lercher:
Was passierte mit den Menschen, die hier und in anderen geheimen Orten eingesperrt waren?

Elida Luna:
Viele von ihnen sind an andere Orte verlegt worden, in andere geheime Gefängnisse. Die große Mehrheit von ihnen, die lebt nicht mehr. Jetzt, nach so langer Zeit sagen wir, sie sind verschwunden und umgebracht worden.

Gernot Lercher:
Ihr Gatte ist verschwunden. Wie kann man als Familie damit leben, dass man nicht weiß, was mit ihm passiert ist, wo seine Überreste sind?

Elida Luna:
Wir waren politisch militant, wir gehörten zu einer der revolutionären Gruppen der damaligen Zeit. Auf der einen Seite musste ich meine Kinder aufziehen, das Leben ging weiter. Ich befasste mich mit diesen Angelegenheiten, erlebte den Terror, blieb in diesem Land, blieb sogar in Rosario und wurde von Menschen, von Freunden solidarisch unterstützt. Aber die Situation war schrecklich, vor allem wegen der Angst, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass die Panzer auf den Straßen waren, Zonen besetzt und das Stück Land, auf dem wir lebten, vom Militär, von der Polizei verwüstet worden war. Es gab ständig Kundgebungen, es gab Demonstrationen der Macht mit schweren Waffen, es gab Zonen, in die man nicht gehen konnte. Die Schreckensherrschaft, der Terror war vollständig installiert.

Ich fühlte, dass sie mir einen Teil meines Lebens genommen hatten. Es traf die Familie von Daniel, seine Mutter, seine Schwestern sehr stark. Der Charakter des Verschwindens von Daniel ist, dass sie ihn unter die Exekutivgewalt der Provinz genommen haben, dass er inhaftiert war im Gefängnis von Coronda, dass sie ihn von dort am 28. Oktober, nein im September entführt haben und hierher gebracht haben. Durch die Aussagen von Leuten, die hier waren und die ihn bis zum letzten Augenblick gesehen haben, wissen wir, dass es der 28. Oktober 1976 war. Das ist das Datum, das wir haben und wir wissen, dass sie ihn mittels Schlägen in einem kleinen Raum umgebracht haben, den sie nach dem Vorbild von den Elendsvierteln Brasiliens „Favelas“ nannten. Vor allem in den Räumen im oberen Teil von „El Pozo“ muss man sich vorstellen, dass dort 30, 40 ja sogar 50 Personen waren, die dort zusammengeballt, aufgegeben waren, die keine Möglichkeit hatten, auf die Toilette zu gehen. Die Frauen wurden hier missbraucht, ich weiß nicht, ob nicht auch die Männer missbraucht wurden, die Menschen wurden einfach roh behandelt. Der Chef des Folterzentrums hier war Agustín Feced. Und wenn sie wussten, dass jemand in der Lage war, eine grausame Unterdrückung auszuüben, dann brachten sie ihn hierher. Es war absolut mörderisch. Es gab eine Serie von Ermordungen, die als staatlicher Terror bezeichnet werden konnten. Zum Beispiel gab es hier einen Mann namens Lofiego, dem nur mehr wenig gefehlt hat, um Arzt zu sein. Er arbeitete hier, und schaute, dass die Kollegen, die gefoltert wurden, nicht während der Folter starben. Wenn das Herz zu versagen drohte, machten sie eine Pause. Wir wissen anhand der Zeugenaussagen, dass dieses geheime Folterzentrum des Geheimdienstes eines der schrecklichsten in der Region war. Für die gesamte Zone war es La Esma, das eine hohe Bedeutung hatte.

Gernot Lercher:
Haben Sie die letzten Überreste Ihres Gatten erhalten?

Elida Luna:
Nein, die wurden uns nicht übergeben. Wir wissen nicht, wo sie sind. Wir wissen nichts darüber, bisher haben sie auch noch nicht auf unsere Anfragen geantwortet, wir wissen nichts. Und weil Sie mich gefragt haben, wie man damit weiter leben kann, kann ich nur sagen, dass man weiterkämpft, dass man militant bleibt, dass man die Anklage voran treibt. Eine unserer Ernüchterungen ist, dass es eine wirkliche Gerechtigkeit nicht gibt, weil  es viele ähnliche Fälle gibt, die dazu dienen, die Militärs zu retten, die in dieser Zeit tätig waren. Was grundsätzlich ist, ist das Bewusstsein und Wissen der Menschen. Dass die Menschen wissen, was passierte und wer die Menschen waren, die verschwunden sind.

Gernot Lercher:
Danke für das Gespräch

Links:
-   Menschenrechtsstadt Rosario
-   Vorstellung des Folterzentrum El Pozo