Podcast


Interview mit Susana Chiarotti

Die argentinische Frauenrechtlerin Susana Chiarotti startete gemeinsam mit Shulamith Koenig in Rosario die erste Menschenrechtsstadt. Im Gespräch mit Gernot Lercher erläutert sie, wie es zu dieser Initiative gekommen ist.

Interview mit Ruben Chababo, Direktor des "Museo de la Memoria"

Das Museum der Erinnerung in Rosario/Argentinien ist ein Museum, in dem die Erinnerung an die Zeit der Diktatur in Argentinien zwischen 1976 und 1983 wach gehalten wird - damit diese Zeit nicht wieder kommt. Es befindet sich in einem alten Bahnhof am Rande von Rosario und soll in absehbarer Zeit in das Stadtzentrum übersiedeln. Im Gespräch mit Regisseur Gernot Lercher erläutert der Direktor Ruben Chababo die Arbeit des Museums.

Claudio "El Pocho" Lepratti war Theologiestudent und Sozialarbeiter in Rosario, Argentinien. Er engagierte sich unermüdlich für die Armen in einem Außenbezirk von Rosario. Als es am 19. Dezember 2001 im Rahmen von Unruhen zu einem Übergriff der Polizei vor einer Schule kam, stellte er sich schützend vor die Schülerinnen und Schüler einer Schule und forderte die Polizei auf, nicht zu schießen. Die Polizei eröffnete aber das Feuer, Claudio Lepratti wurde getroffen und war innerhalb weniger Augenblicke tot. Er gilt in der Zwischenzeit als Märtyrer und als Symbol des Widerstandes, Symbole für ihn, die man vielen Wänden in Rosario und Umgebung finden kann, sind sein Fahrrad und die Ameise als Zeichen für seinen unermüdlichen Einsatz.

Im Rahmen eines Schulwettbewerbes befasste sich eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern mit dem Leben von Claudio Lepratti, in dem sie ein Theaterstück über das Leben von Claudio Lepratti „El Pocho“ erarbeitete. Im Rahmen der Dreharbeiten in Rosario filmte das Team eine Probe für das Theaterstück und begleitete den Regisseur und die Hauptdarsteller an den Ort, an dem El Pocho starb.

Interview mit Juan Emilio Basso, Organisation Hijos - Kinder von Verschwundenen

Juan Emilio Basso ist Mitglied der Organisation Hijos - Kinder von Verschwundenen. Die Gruppe der Mütter vom Plaza de Mayo war eine der ersten Gruppen, die in Argentinien gegen das Verschwinden von Menschen protestierte und Gewissheit über das Schicksal ihrer Kinder forderte. Die Verschwundenen hatten teilweise Kinder, die bei ihren Großeltern aufwuchsen oder auch verschleppt wurden und deren Schicksal nun langsam erfasst wird. Im Interview mit Juan Emilio Basso wird dessen persönliches Schicksal erhoben.

Interview mit den Frauen vom Plaza de Mayo

Seit mehr als 30 Jahren gibt es in verschiedenen Städten Argentiniens die Mütter vom Plaza de Mayo. Sie haben ihre Kinder verloren und begannen noch in der Zeit der Militärdiktatur, Aufklärung über den Verbleib ihrer Söhne und Töchter zu fordern. Es war ein stiller Protest, der aber bis heute andauert. Jeden Donnerstag treffen sich die Mütter am Plaza de Mayo, tragen in Erinnerung an ihre Kinder ein weißes Kopftuch, das aus den Babywindeln entstanden ist und umrunden zu zweit, zu dritt die Statue. Demonstrationen und Ansammlungen von mehr als zwei Personen waren in der Zeit der Militärdiktatur verboten. Die Militärs forderten sie auf, weiterzugehen – was sie bis heute tun. Das folgende Gespräch wurde mit vier Müttern am Donnerstag, dem 9. März 2008 in Rosario aufgenommen. Es sind dies Norma Vermeulen, Elsa de Maza, Noemi de Bisenzo und Nely Alasso.

Gernot Lercher:
Wieso kommen Sie an diesen Ort?

Norma Vermeulen:
Die Mütter vom Plaza de Mayo wurden vor 32 Jahren gegründet. Aber anders als in Buenos Aires, wo es die Organisation der Mütter war, wurde hier in Rosario die Gruppe der Familienangehörigen gegründet. Sie wurde von Verhafteten und Verschwundenen gegründet. Später wurde die Gruppe der Mütter gegründet, die es nun bereits seit 32 Jahren gibt.

Gernot Lercher:
Sie kommen jede Woche hierher?

Elsa de Maza:
Jeden Donnerstag

Gernot Lercher:

Und wieso an diesen Ort?

Norma Vermeulen:
Weil dieser Ort so wie es in Buenos Aires der Plaza de Mayo ist, der Platz ist, der für die Revolution steht. Dieser Platz stellt für uns ein Symbol dar.

Gernot Lercher:
Sie kommen, weil Sie ein Familienmitglied verloren haben?

Elsa de Maza:
Ja, all die Mütter hier vom Platz des 25. Mai haben Kinder verloren, Söhne, die verschwunden sind. Dieser Platz ist für uns sinnbildlich, weil an einer Seite des Platzes ein Gedenktafel angebracht wurde, die an den 20. Jahrestag der Militärdiktatur erinnert, an den 24. März 1976, d.h. 1996 angebracht wurde. Es ist auch eine Ehrerbietung den Toten gegenüber. Und nachdem wir nicht die Möglichkeit haben, am Grab unserer Söhne Blumen niederzulegen, wenn beispielsweise ihr Geburtstag ist oder der Jahrestag ihres Verschwindens, darum machen wir das hier – darum ist dieser Platz für uns wichtig. Seit dem Jahr 2005 hat dieser Platz eine weitere Bedeutung für uns, weil die Asche von einer unserer Kolleginnen, einer Mutter, die einen verschwundenen Sohn hatte, an diesem Ort hier begraben ist. Ihr Gatte ist durch die Militärdiktatur ums Leben gekommen und hier ist ihre Asche begraben. Wir ehren diesen Ort, bringen Blumen her und denken an sie.

Norma Vermeulen:
Die Asche wurde uns von ihrer Tochter übergeben.

Elsa de Maza:
Nachdem vier Familienmitglieder umgebracht wurden, ging sie mit der einzigen Tochter, die ihr geblieben war, ins Exil. Dieser Ort ist für uns sinnbildlich.

Gernot Lercher:
Was erwarten Sie von den Prozessen, die nun bevor stehen?

Elsa de Maza:
Die Hoffnung ist das letzte, was wir verlieren. Wir denken an das Jahr 1976. Mein Sohn verschwand im Jahr 1977. Seit diesem Augenblick fordern wir ein, die historische Wahrheit zu erfahren, zu wissen, was passiert ist, was sie gemacht haben. In diesem Augenblick, in dem die Prozesse beginnen, werden wir sehen, ob uns die Justiz eine Antwort gibt. Wir wollen wissen, was mit ihnen passiert ist, ob sie ins Meer geworfen wurden oder was immer mit ihnen passierte. Wir haben sehr viel Hoffnung, wir wissen aber, dass es eine sehr schwierige Sache ist. Es wurde so viel verzögert, es ist soviel Zeit vergangen. Was wird sein...?

Noemi de Bisenzo:
Mein Sohn hieß Roberto de Bisenzo. Mir wurde mein Sohn umgebracht. Bis heute weiß ich nicht, wo er ist oder was mit ihm passiert ist. Sicherlich haben sie ihn umgebracht. Meine Schwiegertochter war im dritten Monat schwanger. Am 20. September 1976 verschwand meine Schwiegertochter in der Früh und mein Sohn am Nachmittag, weil er sie suchen ging. Das ist es, seit damals weiß ich nichts von ihnen.

Elsa de Maza:
Wir suchen sie weiterhin.

Nely Alasso:
Ich muß nicht mehr weiter suchen. Mein Sohn war bereits flüchtig, weil sie bereits zweimal in mein Haus gekommen sind. Sie kamen, um drei junge Leuten zu holen, von denen einer ein Priester war. Sie kamen in der Morgenfrühe, als die vier noch geschlafen haben. Meinen Sohn haben sie auf der Stelle umgebracht, die anderen haben sie mitgenommen und dann später umgebracht. Vor kurzer Zeit, vor einem Monat oder so wurde an dem Haus, in dem sie umgebracht wurden, eine Wandmalerei angebracht, in der Calle Sarmientos 3781. Dort wurden sie umgebracht. Sie brachten meinen Sohn um und verschleppten die anderen, die bis heute verschwunden sind. Eine Gruppe von Freunden machte diese Wandmalerei mit den Namen.

Gernot Lercher:
Ein Teil von Ihnen trägt ein Kopftuch, ein Teil nicht. Was bedeutet dieses Kopftuch und wieso tragen Sie kein Kopftuch?  

Elsa de Maza:
Es ist ein Symbol, mit dem es begann, mit einer Windel. Und so identifizieren wir uns als Mütter vom Plaza Mayo.

Norma Vermeulen:
Zu Beginn stand auf dem Tuch der Name des Verschwundenen, nun steht darauf Mütter vom Platz.

Nely Alasso:
Auf dem Tuch stand der Name des Sohnes. Für mich – wie ich vor ein paar Augenblicken erzählt habe – passt es eigentlich nicht, dieses Kopftuch zu tragen, weil die Söhne von den anderen Frauen verschwunden sind, mein Sohn aber umgebracht wurde und sie mir den Körper gaben. Daher trage ich kein Kopftuch, aber selbstverständlich bin ich mit ihnen.

Norma Vermeulen:
Wir wissen nicht, wo sie sind, es wird alles hinausgezögert, wir wissen nichts.

Elsa de Maza:
Von meiner Schwiegertochter weiß ich es, aber von meinem Sohn nicht

Gernot Lercher:
Um ein wenig die Situation zu verstehen. Was für Menschen waren ihre Söhne, wieso passierte ihnen dies? Waren sie Politiker, Gewerkschaftsfunktionäre, wieso passierte dies?

Elsa de Maza:
Die Mehrheit von ihnen waren Studenten.

Nely Alasso:
Die meisten waren auf der Universität, es gab einige Journalisten...

Norma Vermeulen:
Es gab Studenten, Schüler der Oberstufe, sie waren ganz einfach gegen das System.

Nely Alasso:
Sie forderten eine bessere Verteilung des Reichtums

Norma Birmi de Merlen:
Sie wollten Gleichheit, sie waren alle Leute, die gewaltlos waren.

Elsa de Maza:
Sie waren ziemlich gescheit, aber das Alter...

Norma Vermeulen:
Die Militärs haben auch Kinder geraubt. Sie wollten, dass diese Kindern für sie wie Söhne sein sollten, sie wollten sie so aufziehen, dass sie so wie sie sein sollten. Aus diesem Grund haben sie die Kinder geraubt, sie ihren Eltern weggenommen. Es sind mehr als 400 Kinder.

Es sind viele Kinder, bei denen die Großmütter vom Plaza Mayo in der Lage waren, sie zurückzubekommen. Ich beispielsweise hatte das Glück, meinen Enkel zurückzubekommen. Sein Name ist Daniel Oli. Er arbeitet nun für Hijos und für all diese Anliegen. Er mischt sich aber nicht in Politik, Gewalt oder ähnliche Angelegenheiten ein. Von seinen Eltern wissen wir aber nichts.

Wir sind jetzt aber mehr – und das ist der Fehler, der von den Militärs begangen wurde. Sie raubten uns die Söhne, aber diese hatten Kinder und nun kommen die Kinder, die Geschwister und die Freunde, die sich engagieren.

Es ist nun mehr als 30 Jahre, dass wir zum Platz kommen. Von den Müttern sind wir nun weniger, wir waren bereits mehr. Es gibt Mütter, die gestorben sind, Mütter, die krank sind. Aber wir haben diese Treffen niemals ausgelassen. Wann immer wir konnten, sind wir gekommen. Es ist die Erinnerung, die wir aufrechterhalten möchten.